INTERVIEW: Brandt Brauer Frick

Reflexionsvermögen – vermutlich ist das der Schlüssel, unser Überleben auf diesem Planeten auch langfristig zu gewährleisten. Umso schöner ist es, zu erleben, dass es auch unter Musikern jene gibt, die sich nicht mit einfachen Erklärungen zufriedengeben. Unruhige Geister, die unentwegt weiterforschen und sich selbst immer wieder herausfordern. Zu diesen gehört auch Paul Frick von Brandt Brauer Frick. Uns gewährte er Einblicke in die Entstehung des neuen Albums „Multi Faith Prayer Room“ und die dahinterliegende Philosophie des Trios.

Drei kreative Köpfe, das bedeutet drei potenzielle Quellen für Ideen, aber auch für unterschiedliche Vorstellungen. Wie geht ihr mit Meinungsverschiedenheiten um? 

Wir haben eigentlich so gut wie nie klare Rollenverteilungen festgelegt, die haben sich ergeben. Unsere jeweiligen Interessen und so weiter haben sich jedes Mal neu zusammengefügt und immer leicht verändert. Es muss immer wieder eine neue Chemie entstehen. Man kann auch nicht alles daran selbst kontrollieren, sondern muss sich gegenseitig überraschen. Es hilft, dass wir uns neben der Band alle drei mit ziemlich unterschiedlichen Dingen beschäftigen. Bei uns gilt einfach, dass alle drei einverstanden sein müssen, ansonsten passiert es nicht. 

Im Pressetext zu eurer neuen LP heißt es, ihr wäret angetreten, die Musik von Morgen zu komponieren. Was macht diese aus eurer Sicht aus? Und inwiefern spiegelt sich dies auf „Multi Faith Prayer Room“ wider?

 Oh, haben wir das gesagt? Wenn es nach uns ginge, stimmt das natürlich. „Multi Faith Prayer Room“ ist ein Dance-Album, das sich mit dem friedlichen Zusammenkommen unterschiedlichster Menschen, Perspektiven oder auch Glaubensrichtungen beschäftigt. Wir wollten weniger unsere eigene Weltsicht herausposaunen, als einen offenen Raum für vielfältige Stimmen zu schaffen. Aus einer Sammlung von bislang 120 Antworten auf unsere Fragen zu den Themen Zukunft, Rituale und Glauben haben wir eine 3D-Audio-Installation mit demselben Namen gebaut, die wir zum ersten Mal letzten Dezember in Miami gezeigt haben. Auf dem Album gibt es auch mehrere kaleidoskopartige Collagen aus diesen Stimmen.

Künstler*innen heutzutage wird gern vorgeworfen, sie würden nur noch recyclen. Was würdet ihr diesem doch sehr abwertend gemeinten Statement entgegensetzen? 

Hm, den Vorwurf gab es auch schon vor Jahrhunderten. Und natürlich scheint er auf vieles an Musik zuzutreffen. Aber es klingt auch ein bisschen so, als wäre da jemand einem traditionellen Geniekult verfallen, der ignoriert, wie Kultur per se aufeinander aufbaut. Wenn jemand auf wirklich tolle, überraschende Art recycelt, dann ist das viel wert. Ich entdecke zum Glück immer wieder neue Musik, die mir etwas gibt. In der jetzigen Form des Musikbusiness ist das Problem eher, überhaupt unter den Unmengen von Veröffentlichungen überhaupt noch etwas Inspirierendes zu finden. Der Markt scheint zunehmend auf Jugendliche und TikTok ausgerichtet. Trotzdem gibt es weltweit viele vernetzte Nischen und in denen sehe ich weiterhin große Chancen. Ich kann das Nörgeln manchmal verstehen, aber es macht trotzdem mehr Spaß, es einfach selbst zu versuchen! Wie zu den Anfängen vom Punk zum Beispiel.

Für euer sechstes Studioalbum habt ihr ein buntes Potpourri an Gäst*innen versammelt. Wie kam es zu dieser spannenden Auswahl? 

Unser Anliegen war, sehr unterschiedliche Stimmen und Perspektiven zu vereinen. Mit Mykki Blanco wollten wir schon lange etwas machen und er hat mit seiner sehr eigenen Spoken-Word-Geschichte unsere Fragen nach Zukunft und Ritualen auf den Punkt gebracht. Kom_I aus Japan haben wir vor ein paar Jahren kennengelernt. Als wir letzten Herbst dort gespielt haben, haben wir in Tokyo zusammen mit ihr ein Video gedreht. Marina Herlop aus Barcelona ist auf mehreren Stücken des Albums zu hören. Wir sind einfach große Fans von ihr und haben sie gefragt. Eine unspektakuläre Geschichte, aber wir haben uns umso mehr gefreut, dass die Zusammenarbeit geklappt hat. Duane Harden hatten wir wegen seiner Vocals auf dem legendären House Track „You Don’t Know Me“ von Armand van Helden im Kopf. Unser gemeinsamer Track „Closer To You“ ist einer unserer Favoriten auf dem Album. Die Zusammenarbeit mit Sophie Hunger und Azekel war nicht minder toll, aber es gibt auch keine wirklichen Anekdoten dazu. Niemand ist ausgerutscht oder sonst zu Schaden gekommen!

Ihr seid mutig und veröffentlicht in Zeiten von Streamingdiensten, Algorithmen und Playlisten eine Platte, die als Konzeptalbum gedacht ist und durch die besagte Kunstinstallation ergänzt wird. Provokativ gefragt: Woher nehmt ihr die Zuversicht, dass die Rechnung aufgeht?

Ich glaube, unser Projekt funktioniert nur mit einer „Trotzdem“-Attitüde. Wir wussten noch nie, ob eine „Rechnung aufgeht“. Was aber Zuversicht gebracht hat, war unsere Tour im Februar und März. Weil uns die neuen Stücke und unser aktuelles Set-up den größten Spaß seit Langem gebracht hat und es den Leuten offensichtlich auch so ging.

Der Musikbranche geht es schlecht. Könnt ihr uns erklären, wie man 2023 noch genug Umsatz als Musiker*in generieren kann, um damit Brötchen, Miete und Freizeit zu bezahlen?

Das wüssten wir auch gern! Für uns sind die Konzerte am wichtigsten. Konzerte sind das Allerbeste und sie finden nicht im Internet statt!

Klimakrise, Kriege, Ressourcenverknappung – uns scheint eine ungemütliche Zukunft bevorzustehen. Habt ihr Tipps, um weiter optimistisch zu bleiben? 

Wir selbst haben vielleicht keine Tipps, aber genau deswegen haben wir ja all diese Leute für „Multi Faith Prayer Room“ befragt. Und es tut tatsächlich gut, zu hören, wie viele mögliche Antworten es gibt. Optimismus ist nichts rein Rationales. Manchmal kann er nur entstehen, wenn sich gefühlt hat, als wäre man auf den Boden gefallen. Mir persönlich hilft es, mich mit dem Thema Tod in vieler Hinsicht zu beschäftigen. Manchmal gibt es keinen anderen Weg, um sich zu besinnen, wie dankbar man sein sollte, auf dieser Welt zu sein. Bezogen auf die genannten Probleme unserer Spezies sind wir natürlich alle dazu verpflichtet, politisch zu handeln. 

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