Ingolstadt
Ritterspiele im Schlaraffen-Land

Ein Uhu am Kavalier Hepp weist den Weg zu einem geselligen Männerbund

16.06.2014 | Stand 02.12.2020, 22:34 Uhr

Ausnahme-Besuch: Heiner Meininghaus, Vorsitzender des Vereins Schlaraffia Ingoldia, und Beatrix Schönewald, die Leiterin des Stadtmuseums und Hausherrin im Kavalier Hepp, im Rittersaal der Schlaraffia. Bei Treffen der Vereinigung haben hier nur Mitglieder Zutritt - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Eulen gelten gemeinhin als die Vögel der Weisheit. Das Vogel-Relief am Kavalier Hepp, in dem das Ingolstädter Stadtmuseum untergebracht ist, scheint deswegen auf den ersten Blick durchaus passend.

Die Wahrheit liegt allerdings anders: Der dargestellte Uhu ist eher ein Spaßvogel. Manchmal hört Beatrix Schönewald seltsame Geräusche aus dem Saal im Erdgeschoss des Kavaliers Hepp. Im Inneren feiert eine Gruppe Ritter. Sie lesen sich gegenseitig Gedichte vor, scherzen und unterhalten sich in einer seltsamen Sprache. „Lulu“, rufen sie sich zu, sprechen von „Sippung“, „Atzung und Labung“. Ein Spuk? Museumsgeister? Die Direktorin des Stadtmuseums, das in dem historischen Festungsbau untergebracht ist, kann wenig Konkretes berichten. Für Nicht-Eingeweihte bleiben die Türen des Saals während der ritterlichen Zusammenkunft nämlich verschlossen – für Frauen sowieso. Außerhalb der Zeremonien darf Schönewald natürlich in den Saal. Auch bei der Nacht der Museen wird er regelmäßig geöffnet. Das nächste Mal am 13. und 14. September. Besuchern fällt auf, dass überall im Raum Uhus sitzen: auf Gemälden, als Figuren, am Rednerpult und sogar ein ausgestopftes Exemplar blickt stoisch auf die Tafelrunde hinab.

Den östlichen Eingang des Kavaliers Hepp ziert ebenfalls das Relief eines Uhus. Die Geschichte des komischen Vogels geht in das Prag des 19. Jahrhunderts zurück. Dort wird im Jahr 1859 dem Theatermusiker Albert Eilers die Mitgliedschaft in der Künstlervereinigung „Arcadia“ verwehrt. Einen „Proletarier“ wollten die hohen Herren nicht bei ihrem elitären Zirkel mitmachen lassen. Gemeinsam mit einigen Freunden vom Theater gründet Eilers daraufhin in einer Kneipe den „Proletarier Club“. Die Mitglieder verschreiben sich der „Freundschaftspflege, Kunst und Humor“. Im Geiste des damals herrschenden Historismus geben sie sich lustige Ritternamen und gewöhnen sich eine Sprache an, die irgendwie an das Mittelalter erinnern sollte. Über der Tür in der Prager Wirtsstube sitzt ein ausgestopfter Uhu, den die gesellige Runde gleich zum höchsten Wesen und Wappentier ihres Bundes erklärt. Etwas später gibt sich der Verein einen neuen Namen. Schlaraffia nennt er sich, inspiriert vom Mittelhochdeutschen „Slur-Affe“, was in etwa „sorgloser Genießer“ heißt.

Die Bewegung der Schlaraffen breitete sich über den gesamten Globus aus. Im Jahr 1918 gründete der Ingolstädter Amtsgerichtsdirektor August Zottmayr – alias Ritter Reimreich der Gemütsmensch – eine Dependance in der Schanz. Heute gibt es in Ingolstadt rund 65 Schlaraffen. Seit Anfang der 1980er Jahre residieren sie in dem Saal im Stadtmuseum, den sie selbst nach ihren Vorstellungen eingerichtet haben. Wie vor 150 Jahren halten sie sich dabei – auch wenn der Spaß im Vordergrund steht – an strenge Regeln. „Schlaraffe kann nur werden, wer von einem Mitglied eingeladen wird“, erklärt Vereinsvorsitzender Heiner Meininghaus. „Aufnahme finden nur Männer von unbescholtenem Ruf, in reiferem Lebensalter und gesicherter Stellung“, heißt es in den Regeln der Vereinigung. Gespräche über Politik, Religion und das Berufsleben sind tabu.

Die Schlaraffia ist ausdrücklich kein Geheimbund, versucht aber, öffentlich nicht großartig in Erscheinung zu treten. Anders als die Rotarier oder der Lions Club, die sich ihr soziales Engagement auf die Fahnen schreiben, bleiben die Schlaraffen gern unter sich. Getreu ihrem Motto „In arte voluptas“ etwa: „In der Kunst liegt das Vergnügen“, geben sie sich lieber dem Musizieren, Dichten und Rezitieren hin. Dazu gehört auch eine Menge Brimborium, das als Persiflage auf die dünkelhaften (Geheim)bünde früherer Zeit zu verstehen ist. Die Mitglieder verneigen sich vor dem Uhu, sprechen sich mit ihren Fantasienamen an und überhäufen sich gegenseitig mit Orden. Die werden allerdings nicht an der Brust getragen, sondern die Schlaraffen stecken ihn sich im wahrsten Sinne an den Hut.

„Im Stadtmuseum sind die Schlaraffen gern gesehene Gäste“, betont Schönewald. Ihr Saal wird auch immer wieder für andere Veranstaltungen genutzt. Bei der Restaurierung des Raums haben sich die Schlaraffen „dankensweise sehr engagiert“ erinnert sich Alt-OB Peter Schnell, der selbst das ein oder andere Mal bei den Schlaraffen zu Gast war. Das Engagement hat mit der Ausstattung des Saals aber kein Ende gefunden. Der Förderverein des Stadtmuseums geht ebenfalls auf die Schlaraffen zurück, so Schönewald. Solche Museumsgeister sind im Kavalier Hepp freilich gern gesehen. Und vielleicht laden sie Beatrix Schönewald ja doch einmal zu einer „Sippung“ ein.